Monday 4 May 2009

Nein, es ist nicht naturgemäß

von Gary L. Francione Blog

''Aber ist es nicht naturgemäß, Tiere zu essen?''

Diese Frage ist wahrscheinlich diejenige, die ich am häufigsten in den fast 30 Jahren gehört habe, seitdem ich für Veganismus werbe. Studenten in unseren Seminaren, Menschen in öffentlichen Vorlesungen, Hörer, die in einer Radiosendung anrufen, in der ich zu Gast bin; der Passagier neben mir im Flugzeug, der sich erkundigt, warum ich eine vegane Mahlzeit habe, während jeder andere Huhn oder Fisch isst – sie alle scheinen zu denken, dass das, was ich als moralischen Standpunkt vertrete, nicht ''naturgemäß'' ist.

Wie ich an anderer Stelle auf dieser Website dargelegt habe, wurden viele scheußliche Praktiken und Traditionen, einschließlich Sklaverei und Sexismus, durch Argumente gerechtfertigt, denen zufolge bestimmte Menschen von Natur aus höherwertig und andere von Natur aus minderwertig sind.

Der aktuelle Ausbruch der Schweinegrippe bietet eine weitere Gelegenheit, das Scheitern des Arguments festzustellen, Tierausbeutung sei irgendwie naturgemäß.

Viele Menschen halten daran fest, es sei naturgemäß für Menschen, Fleisch zu essen. Das heißt, sie behaupten, wir hätten uns evolutionär dahin entwickelt, Tierprodukte zu essen, und dass das Essen von Fleisch, Fisch, Milch, Eiern etc. das sei, wozu die Natur uns bestimmt habe. Diese Dinge nicht zu essen sei ein Akt der Auflehnung gegen das, wozu wir bestimmt seien, und deshalb könne das moralische Prinzip, dass wir keine Tierprodukte essen sollten, einfach nicht richtig sein.

Wir haben uns zu Wesen entwickelt, die Augen haben; die Ansicht zu vertreten, wir hätten die moralische Verpflichtung, ständig unsere Augen zu bedecken und niemals unser Augenlicht zu gebrauchen, würde zu Recht als idiotisch betrachtet. Wir haben uns zu Allesessern entwickelt. Wir können Tierprodukte essen. Aber das heißt lediglich, dass wir uns zu Wesen entwickelt haben, die wählen können, was sie essen, und die die Wahl haben, ausschließlich von pflanzlichen Nahrungsmitteln zu leben. Die Tatsache, dass wir Tierprodukte essen können, stützt die Schlussfolgerung, dass diese Dinge zu essen moralisch gerechtfertigt ist, nicht mehr, als unsere Fähigkeit zur Gewalt die Schlussfolgerung stützt, dass Krieg (oder irgendeine andere Form von Gewalt) moralisch gerechtfertigt ist. Die Tatsache, dass wir etwas tun können, ist nicht erheblich dafür, ob wir es tun sollten.

Es ist offensichtlich, dass für uns keine Notwendigkeit dazu besteht, Tierprodukte zu essen. Und die Belege dafür, dass Tierprodukte in den Mengen, die für die Ernährung der Menschen in den reicheren Ländern charakteristisch sind, gesundheitsschädlich sind, häufen sich täglich.

Darüber hinaus ist niemand von uns mehr (oder niemand, der diesen Essay liest) ein Jäger/Sammler. Wir beziehen unsere Tierprodukte notwendigerweise von domestizierten Tieren. Der gegenwärtige Ausbruch der Schweinegrippe veranschaulicht, dass die Domestikation von Tieren als naturgemäß zu betrachten erfordert, dass wir es als in der Natur der Dinge liegend verfechten, etwas zu tun, das unserem Überleben erfahrungsgemäß abträglich ist.
Es ist unsere Nähe zu den Tieren, die uns über Jahrtausende erhalten haben, die uns so anfällig für Krankheiten macht, welche uns in großer Zahl töten können. Seitdem der Mensch aufhörte, ein Jäger und Sammler zu sein und begann, mit seinem Vieh auf Tuchfühlung zu leben, ging er das Risiko von Pandemien ein. Viele menschliche Krankheiten stammen von domestizierten Tieren: Masern und Tuberkulose von Rindern; Blattern von Rindern oder anderem Vieh mit verwandten Pockenviren; Grippe von Schweinen und Enten und Keuchhusten von Hunden.

Diese Krankheitserreger entwickelten und verbreiteten sich leicht, weil die Tiere in Herden oder Rudeln lebten. Als sie von den ersten Landwirten domestiziert wurden, warteten die Viren nur darauf, weitergegeben zu werden. Diese so genannten Anthropozoonosen werden dann ums so leichter zwischen Menschen übertragen, als diese ihrerseits in enger Gemeinschaft miteinander leben.
Das obige Zitat stammt von einem Artikel in einer britischen Zeitung. Aber was der Autor sagt, ist nicht umstritten. Es ist ein unstreitiges Faktum, dass die Domestikation von Tieren infolge eines vermehrten Kontakts zwischen Mensch und Tier ein breites Spektrum ernster Krankheiten mit sich geführt hat. Von allen anderen Konsequenzen abgesehen, die sich aus dem Essen von Tierprodukten ergeben, wie Herzkrankheit, Krebs usw., und außer Betracht lassend, dass die Umweltfolgen landwirtschaftlicher Tierhaltung nicht weniger als verheerend sind, ist das Niveau des Kontakts zwischen Mensch und Tier, in dem Domestikation besteht, eine große Gefahr für das Überleben der Menschheit.

Wie also kann etwas, das notwendigerweise auf solche schrecklichen Gefahren hindeutet, naturgemäß sein?

Die kurze Antwort: Es kann nicht, es sei denn, wir sehen als naturgemäß das an, was uns umbringt. Wenn jemand sagte, Gift einzunehmen sei naturgemäß, würden wir ihn für geisteskrank halten. Warum also fahren wir fort, uns selbst für rational zu halten, wenn wir eine Einrichtung – Domestikation –für einen natürlichen und unerlässlichen Bestandteil unserer Zivilisation erachten, die so tödlich ist?

Aber, sagen Sie, wir hätten uns niemals ohne Domestikation zu erhalten vermocht; wir brauchten Nahrungsmittel tierlicher Herkunft für das Wachstum unserer Bevölkerung und um Städte und Zivilisation, wie wir sie kennen (und lieben), zu haben. Obwohl also Domestikation ihre Gefahren hat, hat sie auch ihre Vorzüge, und wir müssen abwägen. Selbst wenn Sie ein Freund dessen sind, was als moderne Zivilisation gilt, geht diese Antwort am Wesentlichen vorbei, daran, dass wir uns mit pflanzlichen Nahrungsmitteln hätten erhalten können. Domestikation ist in diesem Zusammenhang nur notwendig, wenn sie die einzige Wahl ist, und sie ist es eindeutig nicht.

Fazit: Wenn Sie denken, wir könnten das Leiden, die Schmerzen und den Tod, den wir jährlich 53 Milliarden Tieren (Fische nicht mitgerechnet) zufügen, mit der Behauptung rechtfertigen, dass Domestikation irgendwie naturgemäß und die Lösung der aus ihr erwachsenden Probleme ist, an den Symptomen herumzupfuschen und Massentierhaltung ''humaner'' zu machen, dann denken Sie noch einmal nach.

Wenn irgendetwas naturgemäß ist, dann ist es Veganismus. Und Veganismus ist die einzige Wahl, welche Tiere als moralische Personen respektiert.

Gary L. Francione
© 2009 Gary L. Francione